Vorsorge zu digitalisieren ist auf jeden Fall ein Fortschritt

Interview mit Prof. Dr. Tobias Kollmann zur Digitalisierung in Unternehmen.

Interview mit Prof. Dr. Tobias Kollmann zur Digitalisierung in Unternehmen

Welche Rolle spielt der Human-Resources-Bereich bei der Digitalisierung insgesamt und wie können Personalabteilungen direkt von digitalen Prozessen profitieren? Wir haben nachgefragt bei Professor Doktor Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen.

Digitalisierung ist in Unternehmen aller Branchen ein Thema. Wie wichtig ist der HR-Bereich dabei?

Tobias Kollmann: Nicht nur die IT, sondern auch der Mensch und damit die Mitarbeiter stehen im Fokus der Digitalisierung.Gerade im Mittelstand scheitern immer wieder Digitalprojekte, weil die Mitarbeiter nicht richtig mitgenommen werden. Deswegen glaube ich, dass die HR-Abteilung für die Geschäftsführung der wichtigste Partner bei der Umsetzung der digitalen Transformation ist.

Digitale Prozesse stehen längst auch für die Personalabteilungen selbst zur Verfügung. Aber nutzen Unternehmen diese auch in größerem Umfang?

Das kommt sehr auf die Größe des Unternehmens an und auf den Digitalisierungsgrad insgesamt. Je größer das Unternehmen und je digitalisierter die zugehörige Branche, umso eher sind digitale Prozesse im Einsatz. Im kleineren KMU-Bereich dominiert aber oft noch die traditionelle Personalakte auf Papier.

Dabei würden KMUs doch fast noch stärker von dem Effizienzgewinn profitieren, der sich aus der Digitalisierung ergibt, oder?

Das ist richtig, aber bei KMUs steht die HR oft nicht an erster Stelle der Digitalisierungs-Agenda, was eigentlich bedauerlich ist, weil ein Unternehmen insbesondere eine Kombination aus Produktion und den Kompetenzen der Mitarbeiter ist. Ein wichtiges Aufgabengebiet der HR liegt schließlich auch darin, den Mitarbeitern digitale Kompetenzen anzueignen. Das ist wichtig, um ein Verständnis für digitale Prozesse im Unternehmen zu bekommen. Es ist ja nicht nur entscheidend, bei Neueinstellungen auf digitale Kompetenzen zu achten, sondern auch bei den bestehenden Mitarbeitern diese Skills auszubauen.

„Gerade im Mittelstand scheitern immer wieder Digitalprojekte, weil die Mitarbeiter nicht richtig mitgenommen werden.“

XEMPUS ermöglicht, händische Verwaltungsschritte im Unternehmen zu reduzieren, und bietet die betriebliche Altersvorsorge als digitalen Prozess an. Das ist doch schon mal ein wichtiger Fortschritt, gerade auch für KMU, oder?

Ich glaube, dass daran folgende Dinge vorteilhaft sind: Erstens wird ein aufwendiger Prozess automatisiert und damit dessen Digitalisierung zu einem Normalfall. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Das zweite ist: Die zugehörigen HR-Mitarbeiter werden bei einer Routineaufgabe von dem zugehörigen Aufwand entlastet, der bisher damit verbunden gewesen ist. Dadurch entstehen Freiräume für andere wichtige Aufgaben. Und das dritte ist, dass ich die Akzeptanz von digitalen Prozessen im Unternehmen fördere, wenn daraus unmittelbar ein Vorteil für die betreffenden Akteure entsteht – und zwar auf allen Seiten: Unternehmen, HR-Abteilung und auch bei den Mitarbeitern.

In welchen HR-Bereichen wird sich Digitalisierung darüber hinaus stärker verbreiten?

Digitalisierung spielt auch im Einstellungsprozess eine zunehmend wichtige Rolle. Analyse-Tools geben immer bessere Hinweise darauf, wer als Bewerber wirklich für ein Unternehmen und eine Aufgabe geeignet erscheint. Dadurch kann man den Kreis der infrage kommenden Bewerber schon mal deutlicher definieren und eingrenzen. Das nächste große Thema wäre das Bewerbungsgespräch selbst. Sie brauchen hier einen Kandidaten nur zehn Minuten mit einer künstlichen Intelligenz telefonieren zu lassen und Sie bekommen ein detailliertes Persönlichkeitsprofil, welches die Auswahlentscheidung unterstützen kann.

Das klingt noch ein wenig nach Science-fiction, auch wenn es schon technisch machbar ist. Wie sieht es aus, wenn die neuen Mitarbeiter dann im Unternehmen sind?

Digitale Technologien werden hier sowohl beim Onboarding-Prozess als auch bei der weiteren Performance-Messung eine aktive Rolle spielen. Bei allen rechtlichen Rahmenbedingungen wird die Leistung des Mitarbeiters somit transparenter. Gut für die Performer – schlecht für die Underperformer. Das könnte zu mehr Leistungsgerechtigkeit führen. Digitale Systeme können aber auch Prognosen darüber abgeben, wann ein guter Mitarbeiter Gefahr läuft, das Unternehmen zu verlassen, weil er in seiner Karriere nicht mehr weiterkommt. Ein Predictive-Analysis-Tool kann für diese innere Kündigung die Indizien sammeln und rechtzeitig Hinweise geben, sich um diesen wertvollen Mitarbeiter zu kümmern. Ich finde, das ist eine spannende digitale Anwendung.

Bei Konzernen ist das sicherlich sinnvoll, wo die HR-Leitung nicht mehr jeden persönlich kennt. Haben Sie bei aller Faszination für die Digitalisierung nicht auch die Sorge, dass die Zwischenmenschlichkeit auf der Strecke bleibt?

Die Daten können immer bessere Auskünfte darüber geben, ob, wann und wie ich mich zum richtigen Zeitpunkt um einen Mitarbeiter kümmern muss. Natürlich gilt das in alle Richtungen, aber es ist ein Hilfsmittel, um den menschlichen Kontakt besser zu gestalten. Entsprechend kann die HR-Abteilung proaktiv auf die Mitarbeiter zugehen und die menschliche Beziehung intensivieren, bevor ein Zettel im Kummerkasten landet. Ich sehe die Digitalisierung hier eher als Aufforderung, um sich auch um den Menschen zu kümmern. Menschliches Gefühl gepaart mit digitaler Datenbasis führt so wahrscheinlich zu den besseren Beziehungen, gerade auch im HR-Bereich.

Corona hat das Homeoffice teilweise zum Standard werden lassen, aber auch neue Diskussionen über die Digitalisierung aufgebracht, womit wir wieder beim menschlichen Kontakt wären.

Ich glaube, dass ein Zoom-Call den Schnack am Kaffeeautomaten nicht ersetzen kann. Ein Unternehmen ist ja auch eine soziale Gemeinschaft. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind selbstverständlich wichtig auch im Hinblick auf die generelle Motivation und Zufriedenheit. Und das kann und darf durch sämtliche Digitalisierung nicht außer Kraft gesetzt werden. Jetzt wo viele zu Hause arbeiten, sehen wir ja, dass damit die Effizienz und Effektivität nicht unbedingt gesunken ist, aber die Zufriedenheit mit dem Arbeitsumfeld teilweise gelitten hat.

Wie sollten Unternehmen darauf reagieren?

Ich rate dazu, die ersten zehn Minuten eines Online-Meetings sprichwörtlich für einen virtuellen Schnack einzuplanen und nicht immer sofort auf die berufliche Agenda zu gehen. Das menschliche Miteinander lässt sich ferner auch mal mit einer virtuellen Geburtstagsfeier oder einem themenoffenen Online-Talk fördern, wenn dabei dann nicht über die übliche Arbeit geredet wird. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Klaus Rathje

Klaus Rathje arbeitet als freier Autor in Berlin und Nordfriesland. Er schreibt Bücher („Die Stinnes – vom Rhein in die Welt“) und berichtet über Themen von Digitalisierung über Familienunternehmen bis New Work. In seinem Podcast „Berliner Zimmer“ interviewt er regelmäßig Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der Hauptstadt.